Von Europa nach Sumatra
Reisebericht des Gütersloher Missionars Ludwig Bregenstroth
Der
Gütersloher Missionar Ludwig Bregenstroth, geboren am 29. Dezember 1881 in
Pavenstädt, reiste im Jahre 1912 zum ersten Male nach Sumatra-Mentawei, seinem
Missionsgebiet, in dem er bis ca. 1950 tätig war. Diesen Brief, der im Jahre 1912 von C.
Bertelsmann gedruckt wurde und an Verwandte und Freunde verteilt wurde, stellte
mir sein Neffe Rudolf Delbrügge zur Veröffentlichung zu Verfügung. W.S.
Padang, den 1. März 1912
Lieben Freunde!
Ein ernster
Lebensabschnitt begann für mich mit dem 18. Januar. An diesem Tage ging ich an Bord
des Schiffes Oranje, welches mich mit sieben Kollegen nach Ost-Indien bringen
sollte. Um 4 Uhr verließ unser Schiff den Hafen, es regnete und stürmte sehr.
Kurz vor der Abfahrt wurde ich noch einmal an die liebe Heimat erinnert. Der
Vater von meinem lieben Freunde W. Skubinna (bestimmt für Nias) hatte seinen
Sohn begleitet bis Genua, nun hieß es aber Abschied nehmen. - Winkend stand der
alte Vater am Ufer - bis er unseren Blicken entschwunden war. Doch wir gaben
uns dem Schmerze nicht hin, der Herr gab uns Kraft fröhlich zu sein.
Nach einer
ziemlich guten Nacht stand ich um 8 ½
Uhr auf. In der Nacht war die See
immer unruhiger geworden, die Wellen schlugen bisweilen bis auf Deck. Hin und
her sah man gerade nicht erquickliche Bilder von Seekranken. Ich freute mich,
dass ich verschont blieb. Von ferne konnte man die Küste von Italien sehen, vor
allen die mit Schnee bedeckten Apenninnen, ein prächtiger Anblick! Hatte ich
mich am Morgen noch königlich gefreut, nicht seekrank zu sein, so wurde das um
12 Uhr schon anders. Bei Tisch um 12 Uhr wurde mir recht übel - ich wurde
seekrank - das ist ein ganz abscheuliches Gefühl, alles ist einem egal, müde
und matt legte ich mich zur Ruhe. Am anderen Morgen, den 20. waren wir in der
Straße von Messina. Wir sahen die Küste von Sizilien sehr deutlich, auch war
die See sehr ruhig; aber dieses änderte sich sehr bald, nachdem wir die Straße
von Messina verlassen hatten. Gewaltige Wellen wälzten sich der Oranje
entgegen, so dass das Schiff 25-30 Meter in die Höhe gehoben wurde. Für einen
Neuling ein grausig schönes Schauspiel. Die Wellen schlugen den ganzen Tag
unaufhörlich auf Deck, so dass man sich auf der einen Seite des Schiffes gar
nicht aufhalten konnte. Die meisten Reisenden waren seekrank. Als ich mich um 9
Uhr zur Ruhe begeben wollte, konnte ich keinen Fuß zur Erde bekommen in meiner
Kabine, bald wurde unser Schiff auf die Seite geworfen, bald mächtig in die
Höhe gehoben, dass man das Gefühl hatte, als wenn man auf dem Kopfe stände. Mit
Mühe und Not erreichte ich mein Bett, aber auch hier wurde man des Lebens nicht
froh. Mein lieber Freund W. Skubinna,
welcher mit mir die Kabine teilte, sagte: "Na, das bischen, was man nun
glücklich im Magen hat, muß nun auch noch wieder herausgepresst werden."
Aber es ging doch besser, als wir gedacht hatten, denn sehr bald schliefen wir
beide fest ein und ließen Sturm Sturm sein. In der Nacht wurde die See dann
wieder vernünftiger, denn als wir am anderen Morgen um 9 Uhr aufwachten, war es
erträglich, wohl hatten wir noch einen ziemlichen Wellenschlag, aber das
gewaltige Schaukeln hatte doch sehr nachgelassen. Es ist Sonntag - Christ,
Kyrie, komm zu uns auf die See, so betet das Herz. Die Gedanken wandern
heimwärts!! Nachmittags um 5 Uhr hielt
einer von uns einen Gottesdienst, der Kapitän hatte hierzu bereitwilligst den
Salon der 1. Klasse zur Verfügung gestellt. Gegen 6 Uhr fuhren wir an der Insel
Kreta vorüber, leider konnten wir nicht mehr viel sehen, es war schon dunkel.
Hatten wir vom
17.-21. immer Regen und Sturm gehabt, fing mit dem 22. Januar ein Tag voller
Sonnenglanz an. Die Stimmung war recht fröhlich an Bord. Am nächsten Morgen um
6 Uhr herrschte schon ein reges Leben, die Küste von Afrika war in Sicht. Bald fuhren wir in Hafen
von Port Said. Unsere Oranje hält. Doch wir dürfen den Dampfer noch nicht
verlassen, zuerst müssen wir untersucht werden, ob etwa Pestverdächtige an Bord
sind. Ein türkischer Regierungsarzt kommt an Bord. Alle Passagiere hatten
sich im Salon 1. Klasse versammelt, der
Regierungsarzt stellt sich an die Tür, die Namen der Reisenden wurden
aufgerufen, alsdann marschierte man durch die Tür, an der hohe Arzt stand.
Damit war die "Untersuchung" zu Ende. Allen Respekt vor solch einem
tüchtigen Arzte!!!
Nun ging es an
Land. Ein wahrer Höllenlärm empfängt uns beim Aussteigen. Ein ganzes Heer von
Kulis (Gepäckträger), Bettler, stürzen auf uns zu. Händler mit Goldwaren,
Briefmarken, Zigarren usw. verfolgen uns beständig. Wir gingen zunächst in eine
Moschee (mohammedanischer Tempel). Beim Eintritt mussten wir alle Überschuhe
anziehen, damit unsere Füße den "heiligen Boden" der Moschee nicht
verunreinigen. Wer dieses nicht tun will, darf nicht eintreten. Von besonderer
Heiligkeit habe ich nichts gesehen, nur monotone Gebete gehört und
stumpfsinnige Gesichter gesehen. Ein "Beter" hat sogar seine Uhr vor
sich liegen, damit er beileibe nicht zu lange betete. Wir verließen bald wieder
diese heilige Stätte. Als wir aus der Moschee traten wurden wir wieder von
denselben Händlern und Bettlern empfangen, welche uns auf dem Hinwege begleitet
hatten, jeder pries uns mit lauten unverständlichen Worten seine Sachen an.
Diese Dreistigkeit und Frechheit war geradezu lästig und nicht zu ertragen. Es
ist eine merkwürdige Welt, die hier in der todeseinsamen Wüste entstanden ist,
seitdem Ferdinand von Lesseps die beiden Meere durch den weltverbindenden Kanal
zusammengeführt hat!
Noch vor
wenigen Jahrzehnten betrat kein Europäer diese Einöden. Heute befindet man sich
geradezu in einem Brennpunkt des Weltverkehrs. Dampfer aller seefahrenden
Nationen kreuzen sich hier auf ihren Wegen nach Europa, Asien, Afrika, Amerika
und Australien. Eine große Anzahl mächtiger Ozean-Riesen lagen im Hafen, um
Kohlen einzunehmen für die lange Reise.
Auch unsere Oranje hatte dieses getan. Der Kapitän sagte mir, dass in
Port Said die besten Kohlenlader der ganzen Welt wären. Darum deckten auch mit
Vorliebe alle Dampfer hier ihren Kohlenbedarf. Etwa zwei Millionen Tonnen
Kohlen werden jährlich in Port Said verladen.
Nach 6-stündigen
Aufenthalt,(am 23. Januar, mittags 1 Uhr) verließen wir den Hafen und fuhren in
den Kanal. Am Eingang steht das Denkmal Ferdinands von Lesseps. Eine mächtige
Statue, mit der Unterschrift: "Aperire terram gentibus" (Die Erde den
Völkern eröffnen). 1854 erhielt Lesseps die Erlaubnis des Baues. 1869 wurde der
Kanal eingeweiht. Am Ende des Kanals steht übrigens auch ein Denkmal. Ein
Deutscher steht da im Bilde vor uns: Wagkorn. Er hat lange vor Lesseps den
Gedanken verfochten, dass übers Rote Meer eine kürzere Verbindung mit
Indiengeschaffen werden müsse. Er gab sich lebenslang die erdenklichste Mühe,
um die Großen der Erde für seinen kühnen Plan zu gewinnen. Er starb in größter
Armut und Vergessenheit in Kairo. Sein glücklicher französischer Nachfolger Lesseps
war gerecht genug, dem unglücklichen Deutschen, der der eigentliche geistige
Urheber des heutigen Suezkanals ist, hier an der Einmündung des Kanals ins Rote
Meer ein Denkmal zu setzen. Am 24.
Januar morgens um 6 Uhr waren wir in Suez, 16 Stunden hatte also die Fahrt
gedauert durch den Kanal. 170 Kilometer ist der Kanal lang. Sehr langsam müssen
die Schiffe fahren, weil sonst der Kanal leicht versandet. Gewaltige
Bagger-Maschinen sind tagaus tagein an der Arbeit um dieses zu verhüten. Die
Unterhaltungskosten des Kanals sind daher sehr groß, daherist eine Durchfahrt
für ein Schiff auch sehr hoch. Unsere Oranje musste 25.000 Mk. Bezahlen für die
Durchfahrt. Die Kanalkompagnie verlangt als Durchschnittspreis 8 ½ Franken für
jede Tonne Ladung. 10 Franken für jeden Passagier, welche am Tage der
Durchfahrt telegraphisch in Paris gezahlt werden müssen. Suez hatten wir
passiert, wir waren im Roten Meer.
In der Gegend
von dem heutigen Suez sollen die Kinder Israel durchs Rote Meer gezogen sein,
geleitet von der gewaltigen Hand Gottes. Das Leben des wunderbaren Volkes zieht
in großen Zügen an meinen Augen vorüber. Und zu der Erinnerung kam die
Gegenwart! In herrlicher Morgenbeleuchtung hatten wir zu beiden Seiten hohe und
stolz gebaute Bergriesen, deren weiße Felswände sich in dem prächtigen Grünblau
des Meeres so unbeschreiblich schön spiegelten (Seltsam, dass dieses Meer seit
alter Zeit Rotes Meer genannt wird). Ja, wie unbeschreiblich schön ist doch die
Gotteswelt! Weiter eilte unser Schiff, von Deck aus konnten wir einen Blick tun
in die Wüste Sinn. Gegen 5 Uhr sahen wir in der Ferne den Horeb, im wunderbaren
Sonnenglanze vor uns liegen. Dort hat Gott seinem Volke seine Gebote gegeben,
geltend für alle Zeiten. - Dort hat er
sich aber auch schon als der barmherzige Vater offenbart, denn er sprach zu
Mose: Jehova, Jehova, ist ein barmherziger und gnädiger Gott, geduldig und von
großer Gnade und Treue. Lange habe ich sinnend hinübergeschaut nach jenen
Bergen, und meine Gedanken eilten weiter nach einem anderen, äußerlich viel
bescheideneren, innerlich aber unendlich
größeren und herrlicheren Berge, dem Hügel Golgatha. Dort erst ist ganz erfüllt
worden, was der in der Geschichte waltende Gott hier angefangen hat. Von diesem
Hügel singt Gerok so schön: Durch manche Länderstraße trug ich den Wanderstab,
von mancher Felsenecke schaut ich ins Tal hinab. Doch über alle Berge, die ich
auf Erden sah, geht mir ein stiller Hügel, der Hügel Golgatha! - Hatten wir uns
in den ersten Tagen unserer Abfahrt auf die Sonne gefreut, so war es uns jetzt
schon viel zu heiß, 25 Grad R. hatten wir am 25. Januar an Bord, alle
Passagiere sind in Weiß, denn alles andere ist zu heiß.
Ein Christ ist
auch ein Patriot, so sagten wir uns am 27. Januar. Auf hoher See ließen wir das
"Heil dir im Siegerkranz" erklingen. Heil dem deutschen Kaiser usw..
Die Holländer, was ja fast alle Reisende waren (wir waren nur 15 Deutsche an
Bord), wussten erst gar nicht was sie sagen sollten. Nachdem sie sich von dem
ersten Schrecken erholt hatten, kamen sie zu uns und gratulierten uns zum
Geburtstag des Kaisers! Abends um 6 Uhr gab es sogar eine Kaiser-Wilhelm-Torte!
Ein Holländer fragte, ob wir nicht durch Funken-Telegraphie dem Kaiser ein
Telegramm schicken wollten, was wir natürlich dankend ablehnten, schon der
hohen Kosten wegen. Es ist übrigens eine großartige Einrichtung, dass sämtliche
Dampfer mit diesen Apparaten versehen sind. Ein Kaufmann telegraphierte z.B. im
Indischen Ozean an seine Braut in Holland. Etwa 2000 Seemeilen waren wir vom
Lande entfernt. Die Funken wurden von einem anderen holländischen Dampfer
aufgefangen, welcher drei Tage von Port Said entfernt war, dieser Dampfer gab
das Telegramm weiter nach Port Said. Am 30. und 31. Januar hatten wir noch
einmal eine sehr bewegte See. Die Damen waren fast alle seekrank, etliche taten
so, als wenn der Magen heraus sollte! Durch den starken Wellengang hatte unsere
Oranje sich verspätet, und in den folgenden Tagen suchte der Kapitän die
Verspätung wieder heraus zu bekommen durch erhöhte Geschwindigkeit. Freilich
kostet jede Erhöhung der Geschwindigkeit eine Menge Kohlen. Unser Dampfer,
brauchte täglich für 500 Mk. Kohlen.
Am 3. Februar
kamen wir nach Kolombo, welch eine Freude, mal wieder Land zu sehen, nachdem
wir 10 Tage lang nur Himmel und Wasser gesehen hatten. Es war 10 Uhr abends,
als unser Schiff in den Hafen geschleppt wurde, bei strömendem Regen. Wir
konnten darum nicht mehr an Land gehen. Freilich an Schlaf war auch nicht zu
denken, denn die ganze Nacht hindurch wurden Kohlen eingeladen. Die Kohlenträger
schreien und johlen fürchterlich, auch mussten die Fenster geschlossen werden,
so dass eine unerträgliche Hitze in den Kabinen herrschte. Wir freuten uns
daher, als es 6 Uhr war, und wir an Land bebracht wurden. Kaum hatten wir
unseren Fuß an Land gesetzt, als auch schon
ein ganzes Heer von Rikschas auf uns zustürzte, alle wollten uns
ausfahren. Diese Rikschas haben kleine zweiräderige Wagen, welche sie selber
ziehen und nehmen für eine Durchfahrt durch die Stadt etwa 50 Pfg. bis 1 Mk..
Wir zogen vor
zu Fuß zu gehen, besuchten den Viktoria-Park und sonstige Sehenswürdigkeiten.
Kolombo macht einen viel besseren Eindruck als Port Said, man merkt überall die
ordnende Hand der Engländer. In Kolombo befanden wir uns übrigens auf
historischen Boden, denn nach dieser Insel (Ceylon) soll schon Salomo seine
Schiffe gesandt haben, doch ich will nicht wieder abschweifen. Mittags um 12
Uhr ging es nun weiter direkt nach Sabang, einer kleinen Hafenstadt, welche auf
der Nordspitze von Sumatra liegt. Hier kamen wir am Mittwoch den 7. Februar an.
Die Oranje fuhr nach Singapore-Batavia, wir mussten daher, bis auf Missionar
Hampp, den Dampfer verlassen. Ein kleiner Küstendampfer lag schon bereit, uns
aufzunehmen. Cun, so hieß dieser Dampfer, fuhr schon des Abends um 10 Uhr
weiter, während die Oranje bis zum folgenden Tage liegen blieb. Nun hieß es
Abschied nehmen, von so manchen lieben Reisenden, noch einmal ein Winken, und
wir fuhren in die Nacht hinaus, der Westküste Sumatras entlang. Am Sonntag den
11. Februar legte unser Schiff in Baros an, ein kleines Plätzchen an der
Westküste Sumatras. Hier hat vor 50 Jahren Missionar D. Nommensen zum erstenmal
Sumatras Boden betreten. Aber hier konnte er damals nicht bleiben. Heute ist
dieser Ort aber wieder besetzt, Br. Haibach, welcher hier arbeitet, kam an
Bord. Nachmittags kamen wir nach Si Boga, hier verließen mich auch die drei
Kollegen, welche für Sumatra bestimmt waren, am Tage vorher hatten wir schon
die Niasser in Gunung Sitoli gelassen. Am 15. Februar landete der Cun in
Padang, nun hoffte auch ich bald am Ziele zu sein. Von Padang nach den
Mentawei-Inseln ist etwa ein Tag. Es verkehren aber die Schiffe noch nicht
regelmäßig nach diesen Inseln. Und so hörte ich denn, dass erstam 10. März ein
Regierungsdampfer hinüberführe, ich also vier Wochen warten muß.
Padang ist
eine echte indische Stadt von etwa 40.000 Einwohnern, darunter 1800 Europäer.
Unser Missionar Dornsaft, bei welchen ich liebevolle Aufnahme fand, hat hier
eine schwere Arbeit unter den Mohammedanern. 33 Jahre steht er ohne
Unterbrechung in der Arbeit, ohne je einen Sonntag ausgesetzt zu haben. Die
Stadt ist ganz von Bergen umgeben, es herrscht daher jahraus jahrein eine Wärme
von etwa 24 Grad R., auch die Nächte sind sehr heiß. Von hier fährt die
Eisenbahn in die sogenannten Padangschen Hochlande, welche von Kranken viel
aufgesucht werden.
Alle lieben
Freunden nah und fern sei ein herzlicher Gruß gesandt. Von Mentawei gedachte
ich dieses zu schreiben, aber weil ich gerade Zeit und Gelegenheit hatte, habe
ich es jetzt schon getan.
Sehr würde ich
mich freuen, wenn alle, die diese Zeilen gelesen haben, mir ein Kärtlein oder
gar Briefchen enden würden, denn in der großen Einsamkeit Mentaweis freut man
sich über jeden Gruß aus der lieben Heimat.
Mit herzlichen Gruß und Gott befohlen
Euer
L. Bregenstroth
Adresse: Ludwig
Bregenstroth
Sikakap
Mentawei-Eilande via Padang
Sumatra Westküste